Interview: Corona in Usbekistan

Alte Medrese im traditionellen Baustil

Silke und Jan Neumann sind momentan mit ihrem Auto in Zentralasien unterwegs. Aufgrund des Ausbruchs des Coronavirus sitzen sie jedoch aktuell in Tashkent in Usbekistan fest – das Auto steht in der Werkstatt in Kasachstan. In unserem Telefonat am 29.04. erzählen sie vom Alltag unter Quarantäne mit Corona in Usbekistan und von ihren Plänen.

Hallo ihr beiden. Erzählt doch mal, wie sieht denn ein ganz normaler Tag für Euch aus?

Jan Neumann: Normalerweise schlafen wir hier lang, das verkürzt den Tag.

Silke Neumann: Dann wird gefrühstückt. Momentan gibt es viele Erdbeeren, denn es ist Erdbeerzeit. Danach wollten wir heute eigentlich auf den Markt um einzukaufen, aber der wurde gerade desinfiziert. Alles war abgesperrt, überall war Polizei und es hat sehr stark nach Chlor gerochen, deshalb sind wir dann stattdessen in den Supermarkt gegangen.

Wie läuft so ein Supermarktbesuch denn ab?

SN: Am Eingang wird Fieber gemessen und man muss sich zuerst die Hände desinfizieren. Zusätzlich bekommt man dann noch Plastikhandschuhe, in die man aber nicht gut rein kommt, weil die Hände noch nass sind vom Desinfizieren. Vor den Kassen gibt es dann Wartemarkierungen, sodass der Abstand eingehalten wird. Bezahlen soll man eigentlich kontaktlos mit dem Handy, die Usbeken machen das alle. Für uns klappt das aber nicht, da unsere deutschen Kreditkarten das nicht zulassen. Dann sind wir wieder zurück nach Hause. Vor unserem Haus sitzt ein Polizist im Auto, der aufpasst, dass die Regeln eingehalten werden.

JN: Momentan steht der ganze öffentliche Verkehr still, fahren darf man nur mit einer Sondergenehmigung. Dementsprechend haben jetzt alle Verkehrspolizisten nichts zu tun, daher wurden diese in den Wohngebieten postiert um aufzupassen, dass die Ausgangsbeschränkungen eingehalten werden.

Also steht die Polizei erst seit Kurzem in den Wohngebieten?

JN: Bis vor Kurzem sind regelmäßig Patrouillen durch die Wohngebiete gefahren, aber jetzt fällt uns schon mehr auf, dass überall Polizisten sitzen, die aber eigentlich die ganze Zeit Videos auf dem Handy gucken, weil ja niemand unterwegs ist.

SN: Zum Einkaufen und zur Apotheke darf man sich mehr als 100 Meter von zuhause entfernen, ansonsten muss man sich immer in diesem Radius bewegen. Am Eingang zum Wohnviertel steht sogar ein Pavillon mit Schreibtisch, an dem auch Polizisten sitzen, die aufpassen, dass kein Besuch kommt und dass nur Bewohner ein und ausgehen.

Der Supermarkt ist also für Euch fußläufig zu erreichen?

JN: Ja, der ist hier in der Nähe

SN: Seit dem 15. März gibt es ohnehin keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr, eine Woche später durften auch Taxis nicht mehr fahren. Seit drei oder vier Wochen darf man nicht mehr Fahrrad fahren. Nur noch Laufen und da kommt ohnehin kaum weiter als 100 Meter.

Wie handhaben das denn dann die Leute, die keinen Supermarkt in der Nähe haben?

JN: Eigentlich hat jeder zumindest einen kleinen Laden in der Nähe, die Versorgung ist also sichergestellt. Man muss nur wirklich aufpassen, dass man auch ja zum nächstgelegenen Supermarkt geht. Denn wenn man ohne Grund draußen herumläuft, wird das hier sehr restriktiv gehandhabt. Wenn man ohne Grund draußen erwischt wird, dann darf man sich 15 Tage lang in staatlicher Quarantäne überlegen, was man falsch gemacht hat. Über den Messenger-Dienst Telegram gibt es sogar einen eigenen staatlichen Kanal, auf dem pro Tag etwa 150 Nachrichten kommen, in denen über neue Regelungen informiert wird, oder ob etwas aufgehoben wurde. Außerdem wird dort bekannt gegeben, wenn jemand Mist gebaut hat, nach dem Schema: ‚Herr A. aus Samarkand ist heute ohne Grund draußen gewesen und muss jetzt in Quarantäne‘.

Der Kanal dient also der Information und gleichzeitig dem öffentlichen Anprangern von Fehlverhalten?

SN: Naja nein, die Leute werden ja nicht mit vollem Namen genannt, aber es ist eben der offizielle Kommunikationskanal der Regierung. Handyläden sind hier aus diesem Grund auch systemrelevant, da ja jeder einen Zugang zum Handy haben muss.

Das klingt doch nach einer sehr guten Idee, da dadurch wirklich jeder tagesaktuell informiert wird, ohne dass man selbst aktiv die Nachrichten lesen muss.

SN: Ja schon, aber es ist zu viel. Und alle Infos kommen auf Russisch und Usbekisch, das können wir leider beides nicht.

JN: Einen Teil des Tages verbringen wir auch immer damit, die Nachrichten zu überfliegen und zu schauen, ob irgendwelche Daten vorkommen. Diese Nachrichten könnten nämlich auch für uns relevant sein, also übersetzen wir uns diese anschließend mit Google Translate.

SN: Es ist wirklich schwierig, aus dieser Informationsflut herauszufinden, welche denn nun wirklich für uns wichtig sind. Zum Beispiel haben wir heute gelesen, dass Baumärkte wieder öffnen dürfen – ist für uns irrelevant. Und eigentlich auch für sonst alle, denn die Dinge, die man im Baumarkt kauft, transportiert man häufig mit dem Auto, was man aber nicht fahren darf. Außerdem liegen die Baumärkte meist außerhalb, also kommt auch niemand hin.

Kann man sich denn nichts liefern lassen?

JN: Doch doch, liefern lassen kann man sich eigentlich alles. Das funktioniert dann meistens über Taxis, die dürfen zwar keine Leute fahren, aber Dinge liefern schon.

SN: Sogar der Birkenstock-Laden macht Werbung, dass er per Taxi liefert und man in diesem Fall einen Sonderrabatt erhält.

Bei Restaurants könnt ihr aber auch bestellen, oder?

SN: Das haben wir zwar noch nicht gemacht, aber wir könnten. Unsere Vermieter schicken uns immer mal wieder Angebote verschiedener Lieferdienste zu und kochen praktisch gar nicht selbst.

Ihr habt erzählt, dass das Wohngebiet durch die Polizei abgeriegelt ist. Aber dennoch müssen manche Menschen ja zur Arbeit, beispielsweise die Ärzte. Gibt es dafür Sondergenehmigungen?

SN: Generell gilt, dass man wenn möglich ins Homeoffice soll. Wenn man aber wirklich sein Haus verlassen muss, um zu arbeiten, kann man eine Genehmigung beantragen.

JN: Krankenhäuser und Apotheken etc. sind natürlich geöffnet. Allerdings darf man nicht mit dem Auto fahren und Busse fahren momentan auch nicht. Daher werden Arbeitnehmer in Sammelbussen direkt zur Arbeit abgeholt. Auch wenn man zum Arzt gehen möchte, ruft man zunächst den Notruf an und wir dann abgeholt und in die Notaufnahme gebracht. Dort wird zuerst getestet, ob man Corona hat und erst anschließend wird man auf den eigentlichen Grund untersucht. Nach der Untersuchung erhält man ein Permit, mit dem man auch zur weiteren Untersuchung zum Arzt fahren darf.

In Deutschland gibt es in den Bussen Plastiktrennwände, damit die Fahrer vor Infektionen geschützt sind. Gibt es etwas Vergleichbares in den Taxis in Usbekistan?

SN: In Kasachstan ist so etwas geplant, aber hier gibt es hier nur die Spezialtaxis, die liefern. Daher war so etwas bislang nicht notwendig.

JN: Ich habe auch lange kein Taxi mehr gesehen, in das ich hätte reinschauen können. Auf dem Markt gibt es Planen. Aus Kantholz wurden dort Gestelle gebaut, an denen Planen befestigt sind, sodass man die Auslage sehen kann, aber die Waren trotz Maske geschützt sind.

SN: Trotz Maske heißt, hier in Usbekistan gilt seit Mitte März Maskenpflicht und das anders als in Deutschland. Wenn man hier das Haus verlässt, muss man eine Maske tragen. Ohne Maske erwischt zu werden kostet umgerechnet 110 Dollar Strafe.

Und es gab auch die ganze Zeit genügend Masken?

SN: Usbekistan hat eine große Textilindustrie. Daher konnte man schnell reagieren und Masken produzieren, Engpässe gab es hier zu keinem Zeitpunkt.

JN: Man kann die Masken auch nach wie vor für 50 Cent kaufen.

Ihr habt erzählt, dass der Markt desinfiziert wurde. Wie darf ich mir das vorstellen? Rückt dann ein Desinfektionskommando an und sprüht alles voll?

SN: Wir haben es nicht gesehen, sondern nur einige Chlorlachen entdeckt. Allerdings war alles geschlossen und abgedeckt. Es wird auch regelmäßig mit Desinfektionswägen durch die Straßen gefahren um beispielsweise Geldautomaten oder Geländer mehrmals täglich zu desinfizieren. Auch die Straßen selbst werden in regelmäßigen Abständen desinfiziert.

Corona in Usbekistan

Desinfektionskommando auf einer Straße

Ganz nach dem Motto lieber zu viel als zu wenig?

SN: Da die Menschen hier regelmäßig auf die Straße spucken, war die Argumentation am Anfang, dass die Keime sich an den Schuhen festsetzen und man die Keime schließlich mit nach Hause nimmt. Mittlerweile soll man die Schuhe aber vor der Wohnung ausziehen. Im Fernsehen wurde außerdem verkündet, man solle nach dem Einkaufen alle Verpackungen entfernen, weil sich der Virus auf dem Plastik einige Stunden halten kann. Da frage ich mich allerdings, wenn doch jetzt alle desinfizierte Hände und zusätzlich Handschuhe im Supermarkt haben, wie sollen dann Viren auf die Verpackungen kommen?

Wisst ihr wie die Situation der Schulen ist?

SN: Oh, dafür hat Usbekistan erst kürzlich einen Preis bekommen. Es gab eine amerikanische Studie, in der untersucht wurde, wie gut die Schulen momentan im internationalen Vergleich funktionieren und Usbekistan hat gewonnen.

JN: Über 100 Fachfilme wurden gedreht und anschließend im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt. Die Filme, die für alle verschiedenen Jahrgänge gemacht wurden kann man auch jetzt noch in der Mediathek anschauen. Passend dazu gibt es online Aufgaben und weiteres Unterrichtsmaterial.

SN: Hier wurden ja praktisch über Nacht die Schulen geschlossen. Am Anfang haben Lehrer dann einfach ihr Handy aufs Pult gestellt und vor der leeren Klasse unterrichtet. Später wurden dann innerhalb einer Woche Unterrichtseinheiten verfilmt und wie gesagt im Fernsehen ausgestrahlt.

Gibt es schon Neuigkeiten dazu, ob und wenn ja wann die Schule fortgesetzt wird?

JN: Seit einigen Tagen wird ja schon davon gesprochen, manche Läden wieder zu öffnen. Heute zum Beispiel haben wir gesehen, dass schon mehr Läden offen waren als letzte Woche. Wieder andere fangen schon an, die Schaufenster zu putzen, sodass wir davon ausgehen, dass auch diese Läden bald wieder öffnen dürfen. In Kasachstan ist beispielsweise angedacht, dass am 11. Mai der Notstand beendet wird, in Kirgistan auch. Für Air Astana gibt es auch schon einen Flugplan, der ab dem 01.05. gültig sein soll.

Also habt Ihr schon etwas Hoffnung, dass Ihr bald weiter nach Kasachstan reisen dürft?

SN: Naja, da steht unser Auto.

JN: Das steht in einer Werkstatt in Kasachstan. Eigentlich wollten wir das nur lackieren lassen und ein wenig Rost entfernen, aber dann kam uns Corona dazwischen und die Werkstätten wurden geschlossen. Es dauerte also ein wenig länger. Am Anfang hieß es eine Woche länger. Daraufhin sind wir dann nach Usbekistan gereist, weil wir nur dreimal im Jahr 30 Tage in Kasachstan bleiben dürfen. Daher wollten wir in der Zwischenzeit für vier Wochen nach Usbekistan. Bevor wir dann aber zurück nach Kasachstan konnten, wurden die Grenzen geschlossen, sodass wir jetzt hier festsitzen.

SN: Und das Auto ist immer noch nicht fertig, weil Lackierbetriebe nicht systemrelevant sind. Wir dürfen ja ohnehin nicht hin, weil Kasachstan für Deutsche die Visapflicht wieder eingeführt hat. Das Visum muss man aber im Heimatland zusammen mit einem Gesundheitszeugnis beantragen.

Könnt Ihr so ein Zeugnis nicht im beispielsweise hier im Krankenhaus bekommen?

JN: Wir versuchen aktuell, über die Botschaft ein Visum für Kasachstan hier in Tashkent beantragen zu können, denn eigentlich müssten wir dafür nach Berlin. Aber momentan warten wir erst einmal ab. Das Ganze wird aber zusätzlich dadurch erschwert, dass hier aufgrund der Situation auch weniger gearbeitet wird. Die usbekischen Behörden waren aber die ganze Zeit sehr kulant uns gegenüber. Eigentlich lief unser Aufenthalt aus, aber da die Situation sich weltweit immer mehr verschärft hat, war es überhaupt kein Problem für uns, länger hier zu bleiben und die Genehmigung wurde immer weiter bis jetzt schließlich Anfang Juni verlängert, sodass wir einfach bleiben konnten.

SN: In Kasachstan ist das auch so. Wenn man bei Inkrafttreten der Maßnahmen schon im Land war, dann darf man auch bleiben, weil die Migrationsbehörden alle geschlossen haben.

Wenn die Grenzen zu sind, kann man ja auch schlecht Menschen abschieben (lacht). Wisst Ihr schon von festen Daten, zu denen die Regelungen wieder gelockert werden sollen?

SN: Wir haben herausgefunden, dass ab nächster Woche ein paar Dinge wieder laufen sollen, aber das ist wohl noch nicht offiziell. Jans Handydisplay ist kaputt, wir waren daher heute im Handyladen. Dort kann man den Vertrag verlängern, ein neues Handy kaufen etc., aber Reparatur ist erst wieder ab nächster Woche möglich. Das wurde uns heute in drei Läden gesagt, also gehen wir davon aus, dass sich da bald etwas tun wird.

JN: Es ist auch ein wenig von den einzelnen Regionen abhängig. Dort, wo die Situation mit den Infizierten in Ordnung ist, wird auch schon früher gelockert.

Corona in Usbekistan

Silke und Jan unterwegs mit Maske

In dieser Hinsicht gibt es also auch wenig regionale Autonomie? Einzelne Gouverneure können also für ihre Region entscheiden, einzelne Maßnahmen zu lockern?

SN: Im Ferghana-Tal ist es beispielsweise so, dass es nur wenige Infizierte und Neuinfektionen gibt, sodass dort Lockerungen beschlossen wurden. Insgesamt ist es hier so, dass alle Städte unter Quarantäne stehen und man seine Stadt nicht verlassen darf. Das war natürlich ein Problem für die Landwirtschaft, da die Bauern oft nicht unmittelbar bei ihren Feldern leben, sondern in der nächsten Stadt. In Ferghana, wo es sehr viel Landwirtschaft gibt, dürfen die Bauern jetzt wieder die Städte verlassen und die Felder bestellen. In Kasachstan ist es ähnlich, da haben auch einige Regionen bereits Lockerungen genehmigt bekommen, aber in Almaty zum Beispiel wurde jetzt alles noch verschärft.

JN: Hier ist eigentlich wie überall auf der Welt. Wenn sich die Menschen an die Regeln halten funktioniert es. Wenn nicht, dann eben nicht. Einfacher ist es hier natürlich, weil es höhere Strafen gibt, die auch konsequent umgesetzt werden. Und weil die Maskenpflicht einfach generell gilt, wenn man nach draußen geht.

Ich halte vor allem diesen Telegram Channel für eine nützliche Installation. Für Euch vielleicht nur bedingt von Nutzen, aber prinzipiell für die Einheimischen ist das doch eine sehr gute Informationsquelle.

JN: Ja das stimmt, man bekommt alle Infos immer direkt aufs Handy.

Also denkt Ihr auch, dass Besserung in Sicht ist?

SN: Außerhalb von Tashkent wurde beim Ausbruch der Krankheit in Containerkrankenhaus aufgebaut, um die regulären Krankenhäuser zu entlasten. Hier wurde von Beginn an sehr strikt durchgegriffen, sicherlich auch, weil das Gesundheitssystem schneller überlastet gewesen wäre. Aber langsam ist wieder Öffnung in Sicht, weil durch das Containerkrankenhaus jetzt höhere Kapazitäten da sind.

Alles klar ihr beiden. Dann vielen Dank für Eure Zeit, es war sehr interessant mit Euch zu sprechen. Ich wünsche Euch alles Gute und hoffe, dass Ihr bald auch Euer Auto wieder abholen könnt.

SN: Der Lackierer darf schon wieder arbeiten, aber die Zulieferer noch nicht, sodass er momentan kein Material hat. Mal schauen.

Ich drücke Euch auf jeden Fall die Daumen!

Wenn Sie an der Weiterreise der beiden interessiert sind, dann schauen Sie unbedingt auf ihrem Blog traveLove vorbei.

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Written by Sebastian Unrecht